Eine menschenwürdige und nachhaltige Wirtschaftsordnung

Es ist Zeit für einen grundlegenden Wandel in unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Wie können wir es hinnehmen, dass unseren Großeltern in Altersheimen die Zähne nicht geputzt werden, weil der Personalschlüssel zu knapp bemessen ist? Ist es angemessen, dass ein Münchner Vorstandsvorsitzender das 250-fache einer Pflegekraft verdient? Haben wir wirklich keine andere Möglichkeit, als Boden zu einer so attraktiven Finanzinvestition zu machen, dass sich der Preis von Grundstücken in der Maxvorstadt innerhalb von vier Jahren fast verdoppelt hat? Und können wir europäische Rettungsprogramme wirklich als Erfolg bezeichnen, wenn dabei ein Mitgliedstaat durch aufgezwungene Kürzungspolitik ein Viertel seines Wohlstands verliert?
Deutschland ist eine reiche Demokratie. Im Zuge der Coronakrise hat der Staat einmal mehr seine Hand gezeigt und klar gemacht: Wir haben die Kapazitäten. Wir können es besser. Unser Problem ist nicht ein Mangel an Möglichkeiten, es ist ein Mangel an Selbstvertrauen, die Wirtschaft so zu gestalten, wie wir sie für richtig erachten.
Dafür trete ich an:
- für eine soziale gestaltende Finanzpolitik, die sich an unseren Werten und Idealen orientiert und nicht angeblichen Marktzwängen unterordnet,
- eine Wirtschaftsordnung, in deren Zentrum entsprechend des ersten Artikels unseres Grundgesetzes die Unantastbarkeit der Menschenwürde steht und die auch zukünftige Generationen im Blick hat,
- gute Arbeit und gute Löhne, die den Beitrag des und der Einzelnen zum Wohle der Gesellschaft reflektieren,
- Zukunftsinvestitionen nicht nur in Schienen-, Mobil- und Kabelnetze oder Ladestationen für Elektroautos, sondern auch in die Fähigkeiten nachfolgender Generationen,
- ein der Realwirtschaft dienendes Finanzsystem inklusive Zentralbank und privatem Finanzsektor, das weder selbstbezogen noch selbstbereichernd handelt und
- ein souveränes, solidarisches und demokratisches Europa.
Wie können wir das erreichen?
- Die öffentliche Hand als Vorreiter der Garantie für gute Arbeit durch anständige Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und einem den Aufgaben angemessenen Personalschlüssel. Es bedarf angemessener Löhne von Beginn der Ausbildung an in den Bereichen Pflege, Gesundheit, Erziehung, Bildung und Verwaltung. Mit einem Mindestlohn von 12 Euro (über der heutigen Niedriglohngrenze von knapp 11 Euro) und progressiv ausgestalteten Sozialbeiträgen werden geringe Einkommen gezielt gestärkt und die Lohnspreizung reduziert.
- Abdeckung von Grundbedürfnissen über solidarische, öffentliche Systeme: Staatliche und betriebliche Altersversorgung ersetzen staatlich legitimierten Wucher durch Riester; kommunaler Wohnungsbau tritt an die Stelle von Bodenspekulation; bezahlbare öffentliche Kitas entlasten nicht nur Eltern, sondern verhindern soziale Ungleichheit von Kindesbeinen an; eine Bürgerversicherung ersetzt die Zweiklassenmedizin; schließlich erlauben klimaneutraler, möglichst gebührenfreier ÖPNV und schnelles Internet an jeder Milchkanne ein Leben, das gleichermaßen sozial eingebunden ist und unseren Planeten bewahrt.
- Erhöhte Erwerbsbeteiligung von Frauen und verbesserte Integration von MigrantInnen in den Arbeitsmarkt sowie lebenslanges Lernen zum Erhalt unserer Produktivität: Der Ausbau von Kinderbetreuung und das Ende der Kleinstaaterei bei der Anerkennung von Abschlüssen und Weiterbildung sind die richtige Antwort auf eine alternde Gesellschaft, nicht das gewaltsame Drücken von Kosten und die Privatisierung der Pflege.
- Innovationsförderung, konstruktiver Wettbewerb und die richtigen rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen als Garanten des Wohlstands von Morgen: Exzellenz in Lehre und Forschung, nicht Steuersenkungen, machen Deutschland zum Magneten für innovative und nachhaltige Unternehmen. Mut bei der Zulassung neuer Technologien und bei der Entwicklung von Standards sowie eine innovationsfreudige staatliche Verwaltung, die die Förderung deutscher und europäischer Unternehmen mitdenkt, sorgen dafür, dass neue Geschäftsmodelle einen Markt haben. Dabei würde eine entsprechende Besteuerung verhindern, dass sich das Eigentum an den deutschen Unternehmen bei den GewinnerInnen der Geburtslotterie konzentriert. Um das Geld stattdessen zu den innovativsten und zukunftsträchtigsten UnternehmerInnen umzulenken, sind passgenaue rechtliche Prozesse sowie verbesserte Finanzierungsmöglichkeiten für Start-Ups erforderlich. Sie geben uns Grund zur Hoffnung, dass hinter den nächsten Aufsteigern in den Börsenindex DAX deutsche oder europäische Investoren stehen.
- Sinnvolle Fiskalregeln anstelle des finanzstatistischen Voodoos: Die Schuldenbremse wird durch ein sinnvolles Regelwerk ersetzt, das kurzfristig auf Vollbeschäftigung mit niedriger Inflation abzielt. Mittelfristig deckelt eine Zinskostenbremse die Höhe, der aus den öffentlichen Haushalten zu zahlenden Zinsen im Verhältnis zu den staatlichen Einnahmen. Damit fließen unsere Haushaltsmittel nicht in die Finanzmärkte, sondern in die Realwirtschaft; und die öffentlichen Finanzen konzentrieren sich auf die Produktivität der Gesellschaft. Die föderale Finanzordnung wird so geändert, dass in der Krise die stärksten Schultern, die des Bundes, das Risiko übernehmen und Kommunen handlungsfähig bleiben.
- Eine europäische Finanzpolitik, die ihren Namen verdient: Die Europäische Union bekommt eine(n) FinanzministerIn. Außerdem erhält sie das Recht zur Ausgabe von Anleihen und zur demokratisch legitimierten Besteuerung. Innereuropäische Steuerparadiese werden geschlossen und das Mandat der Europäischen Zentralbank wird auf nachhaltige Vollbeschäftigung erweitert. Aktive Industriepolitik durch Institutionen wie die Europäische Investitionsbank führt zu einer Angleichung von Lebensstandards in Europa durch Produktivitätsgewinne anstatt zu wachsenden Transfers und den damit einhergehenden Abhängigkeiten.
Wir können uns gute Löhne, ein würdevolles Leben und Nachhaltigkeit leisten. Was wir uns nicht leisten können, sind 40 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen in München in Teilzeit, unter anderem, weil sie keine Kinderbetreuung finden. Was gerade wir im Münchner Norden uns nicht leisten können, ist die mangelnde Integration von MigrantInnen in den Arbeitsmarkt. Was wir uns nicht leisten können, ist eine europäische Finanzpolitik, die bis zur biblischen Naturkatastrophe wartet, bis sie unsere realwirtschaftliche Schicksalsgemeinschaft anerkennt. Und was wir uns am allerwenigsten leisten können, ist eine internationale Finanz- und Steuerarchitektur, in der zwei Drittel aller sogenannten „Direktinvestitionen“ nicht in Fabriken fließen, sondern hinter Steuerschleiern in den Steueroasen auf den Cayman Islands, in Irland, Holland oder Luxemburg verschwinden.
Solange unsere Wirtschaft in eine solche Finanz- und Wertearchitektur eingebettet ist, ist es kein Wunder, wenn zu wenig Geld für Pflege und Gesundheit ausgegeben wird; wenn sowohl Mittelständler als auch große Unternehmen unter Wettbewerbsdruck Outsourcing betreiben oder ihre Belegschaft unter unhygienischen Bedingungen arbeiten lassen und unterbringen; und wenn der Staat – auch wenn er es anders könnte – seinen Haushalt und seine Investitionen nach Rating Agenturen und Anleiherenditen ausrichtet.
All das können wir anders und besser. Wir können eine Wirtschaft schaffen, in der Ressourcen so verteilt sind, dass die Würde des Menschen gewahrt und eine solidarische Gesellschaft möglich ist. Wir können eine Wirtschaft schaffen, in der Zuversicht herrscht, dank dauerhafter Vollbeschäftigung und gelungener Energie- und Klimawende; in der Eltern weder um die Zukunft ihrer Kinder bangen müssen, noch um die Rente ihrer eigenen Eltern.
Wie die britische Schriftstellerin J.K. Rowling sagte: „Wir brauchen keine Magie, um die Welt zu ändern, wir tragen das Nötige schon in uns. Wir besitzen die Fähigkeit, uns eine bessere Welt vorzustellen.“ Lasst sie uns gemeinsam vorstellen. Lasst sie uns gemeinsam bauen.