Oder: Wieso wir dringend eine neue Finanzordnung brauchen.
Geld—wie viel & wo wir es ausgeben—spiegelt unsere Prioritäten. Wie wird also festgelegt, wie viel der Bund ausgeben darf?Seit 2011 legt das die Schuldenbremse fest. Auf den ersten Blick besagt sie: wir können in etwa so viel ausgeben wie wir einnehmen. Aber es gibt eine wichtige Anpassung: Wenn es wirtschaftlich schlecht läuft, dürfen mehr Schulden gemacht werden, um die Wirtschaft anzukurbeln. Wenn es besonders gut läuft, soll der Bund sparen, um die Wirtschaft abzukühlen. Wie definieren wir, ob es gut oder schlecht läuft?
Das Wirtschaftsministerium schätzt wie viel die deutsche Wirtschaft maximal im Jahr produzieren kann, ohne dass es zur Inflation kommt. Aber wann kommt es denn zur Inflation? Laut Theorie sobald *zu wenige* Menschen arbeitslos sind. Denn wenn *zu wenige* Menschen arbeitslos sind, werden Arbeitskräfte knapp. Um die verbleibenden Arbeitskräfte anzuwerben, muss man einen höheren Lohn zahlen. Die Löhne steigen. Und das führt zu Inflation, so besagt die neoliberale Theorie.
Damit akzeptieren wir, dass es Arbeitslosigkeit geben *muss*. Für 2019 berechnete man zum Beispiel, dass knapp 2 Millionen Menschen arbeitslos sein *müssen*. Wenn es weniger sind, kommt angeblich die Inflation. Bei einer Arbeitslosigkeit unter 2 Millionen muss dann gespart werden, damit die Wirtschaft nicht “überhitzt”, das heißt die Löhne und damit die Inflation steigen.
Vereinfacht: niedrige Arbeitslosigkeit -> Angst vor steigenden Löhnen -> Angst vor Inflation -> schnell auf die Bremse steigen!
Mit der heutigen Finanzpolitik treten wir also jedes Mal auf die Bremse, wenn wir in die Nähe von Beschäftigung für alle kommen. Arbeitslosigkeit ist heute kein Fehler im System. Im Gegenteil: Wir akzeptieren, dass es Arbeitslosigkeit geben *muss*. Genau wenn sie „zu niedrig“ wird, greift die „Schuldenbremse“ extra scharf.
Die Existenz von Marx industrieller Reservearmee ist also nicht zufällig. Wir haben sie ins System gebacken. Die Schuldenbremse steht sogar im Grundgesetz. Höchste Zeit das zu ändern! (Ideen dazu im nächsten Post)
Illustration: Hanna Sigl-Glöckner Daten: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/G/gesamtwirtschaftliches-produktionspotenzial-fruehjahrsprojektion-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=6